Marie-Sophie
Dieses "Ereignis" hat mich sehr geprägt und mir gezeigt, dass es so viel gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt. Viele sehen die Geburt eines gesunden Kindes als das normalste der Welt an, was es ja auch eigentlich sein sollte... Aber ein gesundes Kind zu bekommen ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist das größte Geschenk das man bekommen kann
Meine Erinnerungen :
Es fing alles so toll an. Micha und ich sollten ein gemeinsames Kind bekommen und haben uns richtig doll auf unsere kleine Ziege gefreut. Die erste Schwangerschaft, die ich bis zum Ende miterleben durfte, bei der es keinerlei Komplikationen gegeben hat. Ich fühlte mich großartig und genoss jeden Tag der Schwangerschaft.
Als ich zum ersten Ultraschall kam, traf mich der Schlag... 1-2-3... Drillinge??? *OH MEIN GOTT* Nach 2 Wochen war dann aber nur noch ein "Wurm" da...
Hurra! - Es wird ein Mädchen!
Wir haben nach und nach die gesammte Babyausstattung angeschafft und das Zimmer für Marie erst so in der 35. SSW fertig gemacht.
Mir ging es die gesammte Schwangerschaft super, aber gegen der 32. SSW konnte ich kaum noch eine Nacht länger als 3 Stunden schlafen.
Ich ging in der 33. SSW ins Johanniter Krankenhaus, weil mein Bauch des öfteren hart wurde und ich mir nicht sicher war, ob das nun Wehen sind oder nicht. Mit Micha zusammen im Krankenhaus angekommen, legte man mich ans CTG und bestätigte die Wehen. Ich musste da bleiben und an die Tokolyse (Wehenhemmer), weil Marie ja noch 7 Wochen Zeit hatte.
Ich musste die ganze Zeit im Bett liegen und es wurde alle 4 Stunden ein CTG gemacht. Nach 2 Tagen wurde ein US (Ultraschall) gemacht und die Ärztin fragte mich, ob sich mein Arzt verrechnet haben könne. Laut der Untersuchung sei ich in der 40. SSW und Marie hatte ca. 3600g (+/- 300g)
Ich dachte mir, dass mein Frauenarzt sich sicherlich nicht um 4 Wochen verrechnet haben könne. Und so machte ich 10 Tage Tokolyse mit.
Es ging dann auch recht gut und ich hatte keine Wehen mehr.
Als ich dann nach einigen Wochen der Schlaflosigkeit zum Arzt gegangen bin, es war die 37. SSW, ließ er mich zur Geburtseinleitung ins Krankenhaus überweisen. Ich bin am Nächsten Tag in die Klinik, dort wurden wieder US und Untersuchungen gemacht. Der Arzt sagte mir, dass im Moment sehr viel zu tun sei und vertröstete mich auf den nächsten Tag zur Geburtseinleitung. Er sagte, ich habe sehr viel Fruchtwasser und das man evtl. die Fruchtblase "öffnen" sollte, damit das Fruchtwasser ablaufen kann. Es könnte sonst sein, dass beim Blasensprung die Nabelschnur zuerst raus kommt und Marie dann beim runterrutschen ins Becken mit dem Kopf auf die Nabelschnur drückt und sich die Nähr- und Sauerstoffzufuhr abklemmt.
Als ich mich am nächsten morgen um 11 Uhr mit Kinderwagen und Gepäck auf dem Weg ins Klinikum Wedau machte, damit meine Kleine das Licht der Welt erblickt, war alles noch in Ordnung.
Als ich im Krankenhaus ankam, sprach ich mit der Diensthabenden Ärztin, Dr. Bengü Özder. Der Oberarzt, Dr. Pagels war auch dabei. Er hatte bei mir noch den Ultraschall gemacht und uns mitgeteilt, dass Marie ca. 2800 g hätte und ein kleines Mädchen wird. Ich bin dann wieder in den Kreissaal zurück und man hätte mit dem Wehenbelastungstest angefangen. Marie´s Herztöne waren ok. Die Wehen waren auch da (zumindest laut der Hebamme). Ich habe keine einzige Wehe wahrgenommen. Ich habe auf dem "schmerz" gewartet, die Wehenschmerzen halt. Es gab 7 Stufen bei dem Belastungstest, wobei die Wehen immer "schmerzhafter" werden sollten. Ich habe zwar gemerkt das mein Bauch regelmäßig hart wurde, aber von Schmerzen keine Spur. Man gab mir noch einen "Cocktail", der alles ein wenig beschleunigen sollte...
Ich bin dann wieder zurück in mein Zimmer, wo Britta, meine Bettnachbarin mit ihrem Mann zusammen im Bett lag und über Raven Daniel redeten, der 2 Tage zuvor per Kaiserschnitt geholt wurde. Der "kleine" war recht groß und hatte 5400 g und lag in der Kinderklinik.
Ich ging dann noch ein wenig spazieren, damit die Kleine auf den Muttermund drückt und er sich schneller öffnet. Ich wollte schließlich nach der Geburt direkt nach Hause.
Micha kam nach der Arbeit ins Krankenhaus und ich wartete am Aquarium der Klinik auf ihn. Er wollte schließlich bei der Geburt dabei sein. Wir sind noch ein wenig Spazieren gegangen, bevor ich wieder in den Kreissaal sollte.
Im Kreissal wieder angekommen legte man mich wieder ans CTG. Alles OK. Regelmäßige Wehen und der Muttermund war seit Stunden auf 2 cm. Wir (Micha und ich) beschlossen, dass ich diese Nacht nicht in der Klinik verbringe, da sich am Muttermund momentan eh nichts tat und ich wollte nach Hause und wollte dann wieder kommen, wenn die Fruchtblase platzt.
Miriam (die Hebamme) sagte, ich sollte noch in die Wanne, worauf ich mich dann auch noch einließ... *Gott sei dank* Kaum in der Wanne, wollte ich auch schon wieder heraus, weil mir die Wanne einfach zu warm war. Ich stieg heraus und bekam ein sehr starkes, schmerzhaftes ziehen im Unterleib. Ich dachte, "HURRA" endlich richtige Wehen... Die "Wehe" hörte gar nicht mehr auf.
Miriam suchte vergeblich nach dem Muttermund, sie sagte, sie könne ihn nicht mehr fühlen. Mit Miriam war noch eine Hebamme dabei... Sie war in meinen Augen recht kühl und für den Beruf als Hebamme viel zu "cool". Sofort war Bengü (die Ärztin) da und brachte mich zum Ultraschall in einen anderen Raum. Sie sagte dass Marie sich quer gelegt habe und dass man nun einen Kaiserschnitt machen würde. Das ziehen kam wieder und ich versuchte es weg zu atmen. Die "andere" Hebamme fühlte noch einmal nach und sagte, dass der Bauch weich ist und dass es keine Wehen sind. Ich solle mich nicht so anstellen. In dem Moment platzte die Fruchtblase und es kam Blut mit heraus. Ob es Wehen waren oder nicht, ich hatte die Schmerzen und ich habe bereits Kinder geboren und sie tut so, als wäre es meine erste Geburt gewesen... Stellen sie sich nicht so an... Meiner Meinung nach war sie zu routiniert für den Beruf der Hebamme. Abgestumpft... Jede Geburt ist anders und jeder geht anders damit um.
Bengü rief sofort alles zusammen. Not-OP. Sie dachte, dass sich die Plazenta vorzeitig gelöst hätte. Es ging alles ganz schnell. Ich lag innerhalb weniger Minuten im OP und war schnell eingeschlafen.
Als ich aus der Narkose wach wurde, stand Micha neben mir und weinte. Es war ca. 1 Uhr nachts. Ich fragte ihn, warum er weint... Er sagte, weil er glücklich sei. Er sagte, Marie geht´s gut und sie wäre 3990 g schwer. Sie ist um 22.25 Uhr geboren...Wow, dachte ich. Ein "Moppelchen". Ich bin direkt wieder eingeschlafen.
Als ich morgens wieder wach wurde, gegen 8 Uhr, stand Bengü an meinem Bett und streichelte meine Hand. Sie hatte Tränen in den Augen und berichtete mir, was in der Nacht passiert ist.
Als sie mich mit Dr. Pagels operiert hat, waren beide geschockt. Mir ist die Gebärmutter gerissen (die Narbe vom 1. Kaiserschnitt hat den Druck nicht mehr ausgehalten, da sich Marie kurz vor der Geburt quer gelegt hat) (und soviel zum Thema ich solle mich nicht so anstellen von der "anderen" Hebamme) und Marie habe einige Zeit keinen Sauerstoff bekommen. Sie hatte saures Blut und es sehe nicht gut aus für die kleine. Ich bin in Tränen ausgebrochen und fragte mich, wieso gerade wir, warum ausgerechnet Marie - Sophie...
Aber am grausamsten war der Satz : Wenn wir ein paar Minuten früher den Kaiserschnitt gemacht hätten, wäre alles in Ordnung gewesen... Mit anderen Worten : wenige Minuten ehr und wir hätten ein kerngesundes Mädchen bekommen... ein paar Minuten sind so verdammt wenig, aber hier war es für unseren Engel eine kleine Ewigkeit...
Micha kam gegen 13 Uhr ins Krankenhaus. Micha sagte mir direkt, dass er mir "es" in der Nacht nicht sagen konnte und durfte. Ich sollte mich "da" noch nicht aufregen...
Die Oberärztin aus der Kinderklinik kam zu mir, um von Marie´s "Zustand" zu berichten. Sie sagte, sie haben Marie in eine Art "künstliches Koma" gelegt, damit sie keine Schmerzen hat. Sie liegt quasi in Narkose... Gleichzeitig gab sie mir ein Bild von Marie, bei dem ich direkt anfing zu weinen.
Das Bild ist am 11.7.2004 um 15 Uhr gemacht worden.
Ich bat den Arzt, mich nicht auf die Wöchnerinnen Station zu bringen, weil ich einfach nur Angst hatte mit einer "frischen" Mama auf einem Zimmer zu liegen, die ihr Baby immer bei sich haben darf.
Ich musste immer an meine kleine Maus denken und daran, dass sie es wahrscheinlich nicht überleben wird. Nach so einer tollen Schwangerschaft so ein bitteres Ende...
Als ich dann am Nachmittag zum ersten mal auf die Kinderintensivstation gekommen bin, stockte mir der Atem. Da lag meine süße, so viele Schläuche, 10 verschiedene Infussionen. Einen Blasenkatheder, weil Marie Entwässerungsmittel bekommt und sehr viel Pipi macht. Durch die ganzen Infussionen hat sie ganz viel Wasser in ihrem kleinen Körper angesammelt. Sie sah sehr aufgeschwemmt aus. Die Kabel kannte ich zwar auch von meinen anderen Kindern, aber so ein Moppelchen daran zu sehen, war hart. Marie, 3990 g, 53,5 cm groß, Kopfumfang 35,5 cm.
Als ich dann mit der Ärztin sprach, erklärte sie uns was los ist. Marie hatte eine Sauerstoffunterversorgung und wurde künstlich beatmet und ernährt. Sie zeigte keinerlei Reflexe. Die Ärzte sagten uns, dass die Chancen für Marie sehr schlecht stünden.
Micha und ich beschlossen, dass noch keiner mit zu Marie gehen sollte, weil wir nicht wollten, dass sie jemand "so" sieht, es reichte, dass wir das alles miterleben mussten und wir wollten anderen nicht die selben Sorgen "zumuten".
Ich habe immer nur gedacht:
Ich habe 3 Frühchen, mit denen ist alles in Ordnung. Im Nebenzimmer liegt ein Baby mit 450 g. Es ist gesund und hat die besten Chancen... Warum meine Marie nicht??
Der Oberarzt machte jeden zweiten Tag einen Ultraschall vom Köpfchen, um zu kontrollieren, ob das Gehirn weiter angeschwollen ist und ob Nerven bzw. Hirngewebe abgestorben ist. Er hat uns gesagt, das Marie sehr viele Zysten im Gehirn hat, das heißt, dass durch die Sauerstoffunterversorgung einige Nerven im Gehirn abgestorben sind und dort sind "Hohlräume" entstanden, aber es könnte sein, dass andere Nervenzellen die Funktionen übernehmen.
Am 16.07. ,Micha´s Geburtstag, sollte ich nach Hause entlassen werden. Es war schon schlimm genug, das ich mein Baby in der Klinik lassen musste. Bei jedem Gedanken daran fing ich an zu weinen... Nicht mehr zu jeder Zeit zu Marie zu kommen... Wenn ich Nacht´s nicht schlafen kann, konnte ich nicht mal kurz in die Kinderklink rüber "flitzen". An dem Tag sagte mir die Ärztin, dass Marie mit der Maschine mit atmet... Ich bin vor Freude in lautes Geheule ausgebrochen und habe mich gar nicht mehr beruhigt. Es war das schönste "Geburtstagsgeschenk", das sich Micha wünschen konnte... Als ich ihn vom Bus abgeholt habe und es Ihm gesagt habe, hat er sich so gefreut. Als wir wieder auf die Intensivstation gekommen sind, kam ein anderer Arzt hinzu und sagte, dass sich die Ärztin geirrt hat und dass es "nur ein Leck" war... Ein Leck ist, wenn Luft an dem Beatmungsschlauch vorbeiströmt und so dem "Computer" eine echte Atmung vortäuscht... Marie hatte einen kleineren Tubus (Beatmungsschlauch) bekommen als für ihr Gewicht nötig war. Sie hatte einen 3,0 und hätte regulär einen 3,5 gebraucht... und dadurch kam ein Leck zustande. Ich war so enttäuscht von den Ärzten... Sie hätten sich doch vergewissern müssen, oder? Sie können doch nicht einfach den Eltern eine so freudige Botschaft überbringen, wenn sie die nur 5 Minuten später zurückziehen. Das haben wir auch mit dem Chefarzt besprochen, ihm gesagt, das wir es "absolut scheiße" fanden. Man sollte sich sicher sein, dass es auch so ist, wie man behauptet... Und dann "musste" ich nach Hause gehen... Ohne meinen Engel... Es tat so weh, sie in der Klinik zu lassen!
Nach einer Woche sagte uns der Arzt dann endlich, dass das Gehirn nicht weiter angeschwollen ist, sondern langsam wieder abschwillt. Das bedeutete, dass keine Nerven mehr kaputt gehen würden.
Micha sagte immer wieder : Marie ist stark, sie schafft das. Ich dachte: Was ist wenn sie es nicht schafft?
Ich klammerte mich dennoch an jedem bisschen Hoffnung.
Als ich am 10.Tag in der Klinik ankam, stand ich vor einem verschlossenem Zimmer. 5 Ärzte standen in dem Zimmer und in der Mitte ein "Operationstisch" mit einem Baby in grünen Laken drauf. Ich habe einen riesigen Schock bekommen und stand ca. 30 Sekunden (mir kam es vor wie eine Stunde) vor der Tür, bis mich endlich die Oberärztin bemerkte. Ich fing an zu stottern und sie lächelte nur und sagte: Marie liegt jetzt ein Zimmer weiter, ihr geht´s soweit gut. Machen sie sich keine Sorgen... Was sollte ich denn sonst machen??? Ich habe an das schlimmste gedacht!
Ein Ärztegespräch jagte dass nächste. Soviel geweint wie in dieser Zeit habe ich noch nie. Marie kann ihren Kreislauf jetzt selber aufrecht erhalten, sagte man uns und im selben Satz sagte man dass Marie aber kaum eine Chance hat. Der Funke Hoffnung der eine Sekunde mein Leben "beherrschte" war in der nächsten Sekunde wieder erloschen. Sie sagten uns, dass Marie zu 100% Behindert würde, wenn sie es schaffen sollte zu überleben und dass sie nicht wissen, ob sie jemals etwas von ihrer Umwelt wahrnehmen würde.
Manchmal habe ich gedacht, der Arzt wisse nicht, ob wir "ein schwer behindertes Kind haben wollen". Es gibt ja durchaus viele Möglichkeiten sagte er uns... Pflegeheime und diverse andere Einrichtungen... Ich habe gedacht, jetzt raste ich aus... Marie, ein absolutes Wunschkind, ins Pflegeheim?? Ich denke, der Arzt sah nur : Die beiden sind so jung... Vielleicht möchten sie das "so" nicht oder schaffen es nicht...
Wir hatten dennoch große Hoffnung, dass Marie es schafft, da sie ab dem 9. Lebenstag anfing sich zu bewegen. Sie "streckte" sich immer wieder, als ob sie gerade geschlafen hätte und wach würde, und wenn man ihr "weh tat" Z.b. beim Blut abnehmen, kullerten ihr Tränen über die Wagen! Das zeigte doch, dass sie Schmerzen wahrnimmt und nicht nichts spürt oder mitbekommt. Aber sie zeigte kaum, dass sie alleine leben kann. Sie atmete gelegentlich mit der Beatmungsmaschine mit, aber schaffte es ohne Unterstützung der Maschine dann doch nicht.
Wir hatten Montag´s noch einmal ein Chefarztgespräch. Der Arzt sagte, dass sie "eine" Chance hat zu leben. Aber irgendwo habe ich nicht wirklich daran geglaubt. Das war so, als ob er sagt, zu 99 % wird sie sterben, aber wir haben ja noch 1 %, dieser steht dafür, dass sie es schaffen könnte. Für den nächsten Tag stand die Extubierung von Marie an. Wir wollten uns aber vorher noch einmal zusammen setzen, und noch einmal alles besprechen, was passieren sollte oder auch nicht.
( Ich dachte öfters : Warum hat man sie nicht direkt nach der Geburt "in Ruhe" gelassen, warum haben die Ärzte Marie "wiedergeholt"?)
Die Ärztin, die nach dem Gespräch zusammen mit mir auf Marie´s Zimmer ging, wusste nicht so recht was sie mir sagen sollte. Ich stand am Waschbecken in dem kleinen Zimmer und weinte hoffnungslos vor mich hin. Ich dachte und fragte : Marie wird sterben, oder? -------------------->>> Keine Antwort... Stattdessen nahm sie mich in den Arm und ihr liefen Tränen über ihr Gesicht.
Marie wurde, nachdem sie 3 Tage komplett mit der Maschine mit geatmet hat, Extubiert, d.h. der Beatmungsschlauch wurde gezogen und sie "musste" alleine atmen. Die Ärzte haben uns gefragt, was sie machen sollen, wenn Marie es alleine nicht schafft. Unsere erste Frage war, wozu die Ärzte bereit sind. Der Chefarzt sagte uns, er würde uns seine volle "Unterstützung" zusagen indem er Marie nicht erneut intubieren lasse. Wenn wir uns für den Weg entscheiden sollten sie gehen zu lassen, halte er das für "Richtig", aufgrund ihrer Diagnose und ihres Zustandes. Wir wussten weder vor noch zurück. Sollen wir auf unser Herz hören oder auf unseren Verstand? Wir entschlossen uns schweren Herzens, Marie nicht neu intubieren zu lassen.
Der Schlauch wurde um 11.30 gezogen............ und Marie atmete......... es war anstrengend für sie, aber sie hat geatmet. Micha hat noch 2 Foto´s von Marie gemacht, damit wir auch Bilder ohne den Schlauch in der Nase von ihr haben. Ein Bild davon ist ganz oben auf der Seite. Wir blieben noch 2 Stunden bei ihr und wollten dann nach Hause, wo die anderen 3 Kinder schon auf uns warteten.
Gegen 20 Uhr schellte das Telefon und die Nummer des Krankenhauses stand auf dem Display. Ich wurde sehr nervös, zitterte am ganzen Körper und fing schon bevor ich ran ging an zu weinen.
Die Ärztin sagte mir, das Marie´s Werte sich verschlechtern und fragte, ob wir kommen wollen. Ich fragte sie, ob Marie es schaffen würde zu leben und sie sagte ganz leise: "Nein..."
Ich weiß nicht, wer von uns beiden das Taxi gerufen hat... Wir sind zu unserer Nachbarin Andrea, die uns angeboten hat, auf die 3 anderen aufzupassen, wenn die Klinik anruft und wir weg müssen...
Wir waren 20 Min später im Krankenhaus. Dagmar (Marie´s Pflegerin) saß an Marie´s Bettchen und sagte, das sie kämpft. Ich habe nur noch geweint. Sie legte mir Marie auf die Brust.
Micha war recht ruhig. Ich denke, er hat es zu dem Zeitpunkt noch nicht so "wahr" genommen.
Das Herz-Überwachungsgerät fiel mir ständig ins Auge. Marie´s Herzschlag ging runter... 90-86-70-56... Marie holte wieder Luft und der Herzschlag ging wieder auf 145... immer wieder runter, wieder rauf... so ging es über 3 Stunden.
Bei jedem neuen Atemzug geriet ich etwas in Panik, mir wurde heiß und kalt, ein ganz dicker Kloß steckte mir im Hals, ein Gefühl was man gar nicht Beschreiben kann und auch nicht will. Hilflosigkeit pur. Man weiß man kann nichts ändern und hofft einfach nur... Hoffen dass sie es schnell hinter sich hat und zugleich betet man, daß sie es doch schafft zu leben. Mir liefen Tränen übers Gesicht, weil ich kurz zuvor dachte : sie holt keine Luft mehr, sie hat es überstanden und leidet nicht mehr. Ich wollte nicht dass sie leidet aber irgendwo war ich froh, dass sie noch da ist.
Ich streichelte Ihr Köpfchen. Es war wie die Finger, ganz kalt.
Ich schaute Dagmar an und wollte sagen, intubiert Marie neu, sie will doch leben... seht ihr denn nicht, dass sie immer neu Luft holt und leben will?????
Doch mein Mund bewegte sich nicht... Ich habe darauf gewartet, das sie meine Gedanken lesen kann, dass sie sagt: sollen wir sie neu intubieren? Aber der Satz, den ich so gerne hören wollte, blieb aus...
Dagmar schaltete das Überwachungsgerät aus, als sie merkte, dass wir immer wieder darauf schauten... Wir waren zu aufgeregt durch den Monitor und es war wohl auch das Beste, dass er ausgestellt wurde, denn wir wurden ruhiger, weil wir nicht ständig drauf schauten und somit dann unsere "Ruhe" auf Marie übertragen konnten (wenn man das in einer Situation wie dieser überhaupt sagen konnte). Ich wäre so gerne mit Marie durch das kleine Zimmer gelaufen, aber die Länge des Infussionsschlauches ließ es nicht zu sich zu bewegen...
Als ich nach 2,5 Stunden so langsam Schmerzen im Po bekam, bat ich Micha, Marie zu nehmen, damit ich mal kurz aufstehen konnte. Marie lag ja noch an einer Infussion und wir konnten mit ihr nicht laufen. Was ich im nach hinein bereut habe, die Braunüle (Venenzugang) hätte schließlich ausgereicht, für den Fall, dass sie Schmerzmittel bekommt. So hätten wir mit ihr durch das kleine Zimmer laufen können.
Micha kuschelte die ganze Zeit mit Marie. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob er mit ihr geredet hat oder nicht. Er streichelte Ihren Rücken und ihr Köpfchen und gab ihr immer wieder ganz liebevoll Küsschen...
Marie hat sich lange "gequält"... Sie bekam zum Schluss 2 Dosen Morphin. Dann ging alles recht schnell... Marie holte tief Luft und hielt sie inne... nach einigen Sekunden atmete sie die Luft langsam wieder aus. Sie "pfiff" als die Luft aus ihren Lungen strömte. Einige Sekunden Pause... Ich dachte, "das war´s" und geriet ein wenig in Panik. Da holte sie erneut tief Luft, hielt sie länger als beim letzten mal und atmete zum letzten mal die Luft aus. Ich schaute Micha hilflos an und dachte, warum macht "der da oben" so etwas mit uns? Knapp 30 Minuten nach der letzten Dosis ist Marie ganz ruhig und gelöst in Micha´s Armen "eingeschlafen".
Dagmar horchte nach Marie´s Herz und sagte leise, sie könne nichts mehr hören und hat den Arzt geholt und er horchte Marie auch ab.
Marie sah so gelöst aus, völlig entspannt... Als ob sie nur am schlafen wäre. Die Gesichtszüge die sie die letzten 18 Tage prägten, das angeschwollene, alles war weg..
Erst da hat Micha angefangen zu weinen. Er war die restliche Zeit relativ gefasst. Aber als der Arzt ihr Herz abgehorcht und gesagt hat : "Sie ist Eingeschlafen!" brach alles aus ihm heraus. Ich werde diesen Satz mein Leben lang im Ohr haben.
Ich wollte Marie noch einmal halten. Micha fragte mich, ob ich das wirklich will... Er setzte sich auf einen Stuhl und weinte nur noch. Ich habe ihn gefragt, ob er mir hilft, Marie anzuziehen.
Micha sagte nur : Jetzt hat "er" mich für alles bestraft, was ich je gemacht habe, ich hoffe, "er" ist zufrieden...
Ich sehe es leider nicht anders :
"Gott" , wenn es einen geben sollte, hat uns für alles, wirklich alles, jede kleinigkeit die wir je falsch gemacht haben, jeden mist den wir in unserem bisherigen Leben gemacht haben, hart bestraft, indem er uns unsere Tochter genommen hat!
*Was haben wir soooo schlimmes getan, dass er uns Marie einfach so nimmt???*
Micha half mir beim umziehen und Wickeln von Marie.
Es war ein roter Pulli und ein roter Strampler den wir mitgebracht hatten. Sie sah so süß aus darin. Wir fragten die Dagmar, was wir jetzt machen müssen. Sie sagte uns, das wir zu einem Bestatter gehen sollen und der regelt dann alles weitere.
Wir verabschiedeten uns von Marie und ich küsste sie noch einmal. Ich weiß nicht, ob Micha sie auch noch geküsst hat. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
Ich wäre am liebsten noch bei Ihr geblieben... einfach um mich richtig von ihr zu verabschieden... um zu realisieren, dass sie nicht mehr bei uns ist...
Leider hat Marie es nicht geschafft, sie war zu krank und hatte kaum noch Kraft. (Jemand hat mir kurz nach dem Tot von Marie gesagt, dass manche Kinder "zu gut sind" für diese Welt...) Marie hat gekämpft... Sie hat so lange gekämpft... Ich wollte einfach nur noch ganz laut schreien... Mein Herz hat es getan. Mein Herz sagte mir, lass sie neu intubieren, aber mein Verstand sagte, lass sie gehen. Lass Marie nicht leiden, nur weil ich sonst leide, weil ich nicht möchte dass sie stirbt. Weil sie doch unser Baby, unser Wunschkind war...
Es war die schwerste Entscheidung meines Lebens. Mein Kind, dass ich neun Monate in mir trug, dass ich strampeln gespürt habe, auf das wir uns so gefreut haben... Zu sagen, wir haben dich so lieb, dass wir dich gehen lassen... dass wir nicht wollen, dass du leidest.
Kurz bevor Marie "eingeschlafen" ist, hat sie geweint. Es war 0.10 Uhr. Es war das schlimmste was uns passieren konnte. Sie hat sehr gekämpft, sie wollte doch "leben"...
Aber wäre es ein Leben für sie gewesen? Wäre es Lebenswert gewesen? Ab wann ist ein Leben lebenswert? Ich denke nicht, dass Marie so hätte leben wollen. Leben... Sie hätte nichts davon gehabt oder mitbekommen.
Marie wurde am 2. August um 10.45 Uhr in einem weißen Sarg in Duisburg - Trompet beerdigt. Der schlimmste Moment war, als der Sarg runter gelassen wurde... Am liebsten hätte ich den "Deckel" runter gerissen, um Marie noch einmal zu knuddeln. Wir haben Marie ihre Spieluhr und eine Kuscheldecke mit in den Sarg gelegt.
Ich war erst 10 Tage nach der Beerdigung wieder auf dem Friedhof. Wir hatten Marie einen Strauß Rosen aufs Grab gelegt. 17 weiße und eine rote Rose in der Mitte. Die weißen Rosen waren alle ausgetrocknet. Die rote Rose war noch "frisch". Seltsam... noch heute frage ich mich, was da passiert ist...
Micha ging knapp 3 Monate nicht mit mir auf den Friedhof. Es waren die ersten 3 Monate. Er hatte Angst davor... Als wir dann zum ersten mal zusammen da waren, sagte er, es sei ein ganz eigenartiges Gefühl... Er hat Angst loszulassen...
Micha ist mal mit Rambo, als er abends die letzte Runde gegangen ist, gegen 22 Uhr auf dem Friedhof gewesen. Er war recht lange unterwegs und ich fragte ihn wo er war. Er sagte: Ich war bei Marie, stand am Grab und fragte mich, ob sie nicht friert dort unten, es ist doch kalt draußen... Ich habe gedacht : sie friert bestimmt nicht, wir haben sie doch in ihre warme Wolldecke gelegt.
Was Micha später seltsam vor kam, dass es seit Marie´s Geburt 17 Tage lang trüb war, es hat viel geregnet und war immer sehr bewölkt. Am 28.Juli (Marie´s Todestag) schien die Sonne aus allen Poren und seitdem war es wieder schön...
Jetzt weiß ich, dass es Marie "gut" geht. Sie leidet nicht mehr und hat keine Schmerzen mehr. Und ich denke, dass sie immer da und bei uns ist.
Ich frage mich ab und zu, was sie mir wohl sagen würde wenn sie es könnte. Ob es richtig war das zu tun was wir getan haben? Oder ob sie uns deswegen böse ist, weil sie nicht bei uns sein kann...?!
Wir vermissen unsere kleine und wir behalten sie immer lieb in unserem Herzen!
Wir lieben und vermissen Dich sehr Engelchen!
Hier möchte ich mich nochmals bei den Ärzten und Pflegern der Städtischen Kliniken, Wedau Klinikum Duisburg für die liebevolle Betreuung in der schweren Zeit bedanken. Besonderen Dank an Dr. Bengü Özder (heute Schmitz) und Hebamme Miriam Leerhoff!
Einen ganz persönlichen und lieben Dank gilt Dr. Jens Pagels. Ich muss Ihnen sagen, dass wir uns im ersten Moment, wo wir Ihre bekanntschaft gemacht haben, total wohl gefühlt haben. Sie sind die Ruhe in Person und ein Arzt, den auch jeder Versteht ohne das Sie im Ärzte-Chinesisch mit den Patienten reden. Es sollte mehr Ärzte wie Sie geben!!! Danke für alles, auch dafür, dass wir noch heute in Kontakt sind.
*Der beste Arzt, den´s gibt!!!*
Des weiteren ein großes Dankeschön an die Pfleger der Kinder-Intensivstation. Besonders an Dagmar, die Marie mit uns zusammen von der ersten bis zur letzten Sekunde betreut hat, sowie an Frau Dr. Buschkamp, die immer mit uns litt, und Herrn Dr. Donner, der Marie in ihren letzten Stunden ganz lieb unterstützt hat!
Wir haben uns bei euch sehr wohl gefühlt, auch wenn es ein sehr schwerer Gang war. Wir möchten euch danken, dass wir "so" von Marie Abschied nehmen durften!
Ich möchte hier nun gern noch Gästebucheinträge veröffentlichen, die mich sehr berührt haben. Es ist schön zu wissen das man nicht nur ein Patient von vielen war sondern das man in Gedanken bleibt!
103.) 13.04.2006 / 16:29 | |
Name: | Jens Pagels |
eMail: | pagels@bethanienmoers.de |
Homepage: | keine |
Beitrag: | Liebe Familie Hable/Schramme! Ich war an Ihrem Unglück unmittelbar beteiligt und muß sagen, dass es mich heute noch sehr bewegt. Als Frauenarzt wird man leider zwangsläufig mit persönlichen Katastrophen konfrontiert, und der Verlußt des eigenen Kindes ist die größte menschliche Katastrophe im Leben. Das Leben kann sehr grausam sein!! Ihre Namen werde ich nie vergessen, ebenso nicht die Namen der Familien, denen ähnliches geschehen ist. Danke für Ihre HP! Ich werde diese allen Betroffenen empfehlen. Ich bin sicher, dass sie anderen hilft, die Trauerarbeit leisten. Ganz besonders imponiert mir die Art, wie Sie mit Ihrer Trauer umgegangen sind. Viel Glück im weiteren Leben, Ihr Jens Pagels. |
176.) 21.10.2007 / 18:11
Name:
Jens Pagels
eMail:
jens.pagels@arcor.de
Homepage:
keine
Beitrag:
Hallo Familie Schramme,
wir haben heute wieder an Sie gedacht.
Lieben Gruß vom Klinikum!
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